Fit bis ins hohe Alter? Orthopäde rät zu „Bewegungsvielfalt“ statt „Sport“

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Worauf ihr wirklich achten solltet!

Bis ins hohe Alter aktiv bleiben? Orthopäde empfiehlt „keinen Sport“

Eine Frau trainiert im Fitness-Studio.

Habt ihr Rückenschmerzen, auch wenn ihr aktiv seid? Orthopäde Dr. Arvid Neumann weiß, woran das liegen könnte. (Symbolbild)

iStock

von Madeline Jäger

Wer aktiv ist, lebt gesund?
Viele Menschen glauben an dieses Motto. Doch laut dem Orthopäden Dr. Arvid Neumann ist das nicht so einfach. Der erfahrene Arzt räumt mit Schönheitsidealen und Gesundheitsmythen auf – und erklärt im RTL-Interview, was ihr wirklich beachten solltet, um schmerzfrei und bis ins hohe Alter aktiv zu bleiben.

Orthopäde: „Ich plädiere für eine andere Definition von Fitness“

Ein Sixpack ist gesund und sieht toll aus? Nein – ganz und gar nicht! „Der Bauch benötigt Flexibilität“, sagt Dr. Arvid Neumann stattdessen. Alles andere ist ein falsches Schönheitsideal und eine Gesundheitslüge, die uns die Fitnessindustrie verkauft. Leser von Neumanns aktuellem Buch: „Die Fitness-Lüge“ könnten sich zunächst bestätigt fühlen. Denn klassischer Sport im Fitnessstudio macht uns laut dem Arzt nicht fitter, oft sogar krank! Muskelaufbau kann schädlich sein, wenn er falsch ausgeführt wird. Der Arzt kritisiert, dass viele Hobbysportler durch einseitige Bewegungen sogar Beschwerden verschlimmern.

Lese-Tipp: „Die Fitness-Lüge” – warum uns Sixpacks und Co. krank machen

Wie helfen wir gegen Rückenschmerzen, das Volksleiden Nummer eins?

„Um dauerhaft schmerzfrei zu bleiben, ohne regelmäßige Übungen machen zu müssen, muss man an der Ursache arbeiten. Der behandelnde Therapeut sollte die Körperstruktur und die Faszie berücksichtigen“, rät der Orthopäde. Wichtig sei es, einen Arzt aufzusuchen, der Empfehlungen für spezifische Bewegungen gibt, die gegen Rückenschmerzen helfen. Denn: „Fit sein bedeutet für mich, in Form zu sein und nicht mit einer falschen Haltung zu sitzen, zu stehen oder sich zu bewegen. Außerdem plädiere ich für eine andere Definition von Fitness, nämlich die Fähigkeit, im Alltag leistungsfähig und belastbar zu sein. Und zwar bis ins hohe Alter“, erklärt der Experte.

Lese-Tipp: 61 Prozent der Deutschen haben Rückenschmerzen! Expertenrat: Das hilft wirklich

Wann es für Freizeitläufer sogar gefährlich werden kann

Im Buch des Orthopäden kommen auch Freizeitläufer nicht gut weg! Zu oft bewegen sich Freizeitsportler „falsch“ und haben dadurch Schmerzen. Oft sind Läufer sogar mit Schmerzmitteln wie Diclofenac unterwegs, um trotzdem laufen zu können. Aus Sicht des Arztes eine gefährliche Entwicklung. „Die Freude an der Bewegung sollte immer an erster Stelle stehen. Ich möchte beim Laufsport Menschen sehen, die jede Minute genießen und beim Sport innerlich strahlen. Leider sehe ich oft das Gegenteil: eine innere Qual, die letztlich zu mehr Körperspannung führt und möglicherweise bestehenden mentalen Stress noch verstärkt.“

Dr. Arvid Neumann

Dr. med Arvid Neumann ist ein zweifacher Sportwissenschaftler, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Er war Chefarzt in einer Rehaklinik und ist als Faszien-Orthopäde in Oberursel (Taunus) tätig.

Elena Reinsch | querformArt fotografie

Was empfiehlt der Arzt Freizeitläufern stattdessen? „Zunächst rate ich dazu, neben einer sportmedizinischen Diagnose, die einzelne Organsysteme näher beleuchtet, auch einen Faszien-Check-up durchzuführen. Man sollte überprüfen, ob die eigene Körperstruktur im Gleichgewicht ist“, erklärt der Arzt. So könnten mögliche Fehlhaltungen beim Laufen ausgeschlossen oder generell vom Laufen abgeraten werden, wenn die körperlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind.

Lese-Tipp: Frühlingszeit ist Outdoor-Zeit: Mit diesem Trainingsplan fürs Laufen werdet ihr fit

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Arzt kritisiert die 10.000 Schritte-Zielsetzung – aber was dann?

Frau spaziert mit Hund.

Ihr wollt täglich auf 10.000 Schritte kommen? Laut dem Orthopäden kann das auch flexibler gestaltet werden.

fotografixx

Der Orthopäde stellt die weit verbreitete Zielsetzung in Frage, täglich 10.000 Schritte zu erreichen. Aber wenn 10.000 Schritte nicht das ultimative Ziel sind, was sollten wir uns dann stattdessen setzen?

„Nur beim Sport zu trainieren oder lediglich die 10.000 Schritte zu erreichen, ist leider eine Fitness-Lüge“, kritisiert Dr. Neumann. „Bewegungsvielfalt ist das Schlüsselwort. Unser Körper, genauer gesagt unsere Faszie, kommt mit monotonen Wiederholungen nicht klar. Und natürlich ist die Bewegungsqualität entscheidend, die natürlichen Bewegungsabläufe und die besten Körperhaltungen sind wichtig. Ob man nun sportliche Leistungssteigerung anstrebt oder einfach spazieren geht. WIE wir jeden Schritt ausführen, ist wichtiger als die Anzahl der Schritte“, so das eindringliche Plädoyer des Mediziners.

Lese-Tipp: 10.000 Schritte am Tag? Ein Marketingmythos! SO viele Schritte reichen tatsächlich aus.

Bewegungsvielfalt! Zwei einfache Tipps für Vielf sitter

Für einen rückenfreundlichen Arbeitsplatz von zuhause sind oft nur kleine Anpassungen nötig - sei es durch ein Kissen oder regelmäßige Positionswechsel.

Wie können Vielf sitter sich mehr bewegen?

Finn Winkler/dpa/dpa-tmn

Wie könnte ein aktiver Alltag für Vielf sitter aussehen?

  • „Richtig sitzen und dabei dynamisch verschiedene Positionen einnehmen, wie es uns Kinder vormachen“, empfiehlt der Arzt. Also drehen, wenden, aufstehen und bücken, wenn der Stift herunterfällt – alles ist ausdrücklich erlaubt!

  • „Typische Bewegungen im Büroalltag optimieren: Den Gang zum Kopierer, das Stehen am Stehschreibtisch, das Öffnen einer Tür. Jede Bewegung kann faszienfreundlich und ökonomisch gestaltet werden.“ Hierbei ist es hilfreich, bewusst regelmäßig aufzustehen und sich unterschiedlich zu bewegen.

„Wenn man dies praktiziert, wird man mit lebenslanger Schmerzfreiheit und Beweglichkeit belohnt und erspart sich Verschleißerkrankungen“, sagt der Orthopäde.

Lese-Tipp: Ihr sitzt viel? Drei einfache Übungen, mit denen ihr euch wieder fit dehnen könnt.

Bewegung neu denken! Welche Sportarten empfiehlt der Orthopäde?

Jetzt wird es besonders spannend, wenn es um Sport geht! Welche Art von Sport empfiehlt der kritische Orthopäde, um fit, gesund und schmerzfrei zu bleiben? „Ich empfehle keinen Sport. Warum? Ich möchte es nochmals betonen: JEDE Sportart führt zu Bewegungsmangel. Nur die regelmäßige Ausübung von freien, natürlichen Bewegungen, die intuitiv, spontan und situationsangepasst sind, beugt diesem Bewegungsmangel vor“, erklärt Dr. Neumann.

Sein Vorbild bei dieser Empfehlung? Kinder, die sich ohne Einschränkungen bewegen und dabei vor allem viel Spaß haben. „Beginnen Sie, den ganzen Tag – auch während der Arbeit und anderen Verpflichtungen – bewusst auf Bewegungsvielfalt und -qualität zu achten!“

Lese-Tipp: Keine Zeit für Sport unter der Woche? Kein Problem, wenn ihr DAS beachtet!

Video-Tipp: Diese Übungen versprechen maximalen Erfolg

Diese fünf Tipps bringen euch wirklich fit

Wenn euch diese Empfehlung nicht ausreicht, könnt ihr euch an diesen fünf konkreten Tipps von Dr. Arvid Neumann orientieren!

  1. Fragt euch: Was möchtet ihr mit 80 oder gar 99 Jahren noch einwandfrei machen können? Überlegt euch ein Ziel! Wollt ihr dann leichtfüßig einen 2.000 Meter hohen Gipfel erklimmen? Beginnt jetzt schon regelmäßig mit dem Wandern! Bedenkt: Geräte-Training im Fitnessstudio wird euch dabei nicht helfen.

  2. Ihr könnt klassischen Sport treiben, müsst aber nicht! Fragt euch immer: Habe ich daran Freude und freue ich mich auf die nächste Einheit? Tut mir der Sport körperlich und seelisch gut? Ansonsten bringt Vielfalt in eure Bewegungen!

  3. Bevorzugt Sport in der Natur gegenüber dem Fitnessstudio! Geht spazieren, wandert, klettert. Geht häufiger barfuß.

  4. Trainiert die oberen und unteren Extremitäten. Beteiligt beide Seiten, rechts und links. Koordination ist der Schlüssel.

  5. Hört auf euer Bauchgefühl und nehmt euch ausreichend Zeit zur Regeneration. Achten auf gesunden Schlaf und die richtige Schlafposition (die Faszie „trainiert“ ebenfalls im Schlaf!).

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