BSW vor der Bundestagswahl: Wagenknecht steht vor einer entscheidenden Herausforderung
Sahra Wagenknecht ist das allgegenwärtige Gesicht und Namensgeberin ihres BSW. Doch nach ersten Erfolgen muss die junge Partei nun um den Einzug in den Bundestag kämpfen. Der Winterwahlkampf erschwert die Situation zusätzlich.
Es war ein kurzer, aber intensiver Winterwahlkampf – auch für Sahra Wagenknecht. Die Leiterin des nach ihr benannten Bündnisses hat in den letzten drei Wochen durch die Republik getourt. An diesem Abend ist sie im Congress Centrum in Hannover. Fast 1.000 Menschen sind gekommen, viele müssen stehen. Auf der Bühne spielt eine Band zur Einstimmung die deutsche Version des russischen Friedensliedes „Schurawli“ (auf Deutsch: Kraniche). Es handelt von gefallenen Soldaten, die sich möglicherweise in Kraniche verwandelt haben und am Himmel ziehen.
Es ist Wagenknechts achter und vorletzter Wahlkampfauftritt. Alle drei Tage hat sie an einem anderen Ort zu ihren Anhängern gesprochen. Allerdings konnte sie dies nur einmal auf einem Marktplatz tun, und zwar in München zu Beginn ihrer Tour, auf dem Marienplatz im Stadtzentrum. Mit dieser Art von Auftritten hatte Wagenknecht im vergangenen Herbst bei den Landtagswahlen im Osten positive Erfahrungen gemacht. Sie ziehen Aufmerksamkeit auf sich. Wo bereits einige stehen, bleiben auch andere interessiert stehen. Das dürfte zu den guten Ergebnissen des BSW beigetragen haben.
Kampf um jede einzelne Stimme
Doch aus Sorge vor Kälte, Eis und Schnee hat Wagenknechts Team für die kommenden Termine Hallen gebucht, teilweise am Stadtrand. Hierhin kommt, wer bereits ein Wagenknecht-Fan ist oder sich zumindest für das BSW interessiert. Laufpublikum ist eher nicht anzutreffen. Dabei kämpft Wagenknecht um jede einzelne Stimme, in Umfragen lag sie zuletzt unter der Fünf-Prozent-Hürde. Ein Einzug in den Bundestag ist ungewiss. Im Herbst hätte man mit mehr Zeit mehr Menschen erreichen können, bedauert man etwas wehmütig aus Wagenknechts Umfeld. Interessanterweise war es auch Wagenknecht, die nach dem Ampel-Aus im November vehement auf schnelle Neuwahlen gedrängt hat.
Das Fazit der Organisatoren von Wagenknechts Wahlkampftour fällt dennoch positiv aus. Überall, wo man war, sei der Platz kaum ausreichend gewesen. Außer in Erfurt – dort hätten Streiks im Nahverkehr vielen, die eigentlich kommen wollten, die Anreise erschwert. Dagegen sind in Stuttgart, Kassel oder auch Bielefeld mehr Menschen als erwartet erschienen.
Insgesamt war der Wahlkampftross in acht Großstädten zu Gast – darunter nur zwei im Osten. Dies könnte auch auf die Erfolge bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen zurückzuführen sein. Hier hat das BSW bereits eine Basis. Wagenknecht schielt nun auf den Westen, wo schließlich auch mehr Stimmen zu gewinnen sind.
Co-Vorsitzende sind das Vorprogramm
Bevor Wagenknecht auf die Bühne tritt, dürfen zunächst weitere Mitglieder des BSW sprechen, darunter ihre Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali. Das BSW sei die einzig wahre Friedenspartei, macht sie gleich zu Beginn ihrer Rede klar. Alle anderen Parteien forderten mehr Waffen für die Ukraine und würden sich bei den notwendigen Rüstungsausgaben überbieten. „Was für ein Wahnsinn“, ruft sie laut ins Mikrofon, das Echo hallt durch die Halle. Applaus schallt zurück.
Ali kritisiert die hohen Energiepreise, das Verbot von Verbrennerfahrzeugen und einen unzureichenden Kampf gegen Rechts. Parteivize Shervin Haghsheno beklagt anschließend eine vermeintliche Einschränkung der Meinungsfreiheit. Den etablierten Parteien bescheinigt er autoritäre Tendenzen. Er spricht von Cancel Culture und einer Hetzjagd auf Minderheiten während der Corona-Zeit. Besonders viel Beifall erhält er, als er die nach wie vor nicht erfolgte Aufarbeitung der Pandemie kritisiert – für viele im Saal ein sehr wichtiges Thema.
Als dritter und letzter Vorredner steht Fabio de Masi auf der Bühne. Er sitzt seit Sommer für das BSW im Europaparlament und konnte bei der Wahl im Juni mit etwas mehr als sechs Prozent einen ersten Achtungserfolg erzielen. De Masi bescheinigt der Ampelkoalition eine „völlig verrückte Strategie“, sowohl in wirtschaftlicher als auch in außenpolitischer Hinsicht. Die Sanktionen gegen Russland würden Deutschland mehr schaden als nutzen.
Wahl entscheidet auch über Wagenknechts Zukunft
Nach einer dreiviertel Stunde ist es endlich so weit. Der Auftritt der Person, für die alle an diesem Abend gekommen sind. Als Wagenknecht auf die Bühne kommt, wird sie von teils frenetischem Applaus empfangen. Für sie ist dies der unumstößliche Beweis, dass der Rückhalt für ihre Partei nach wie vor groß ist – schlechte Umfragewerte hin oder her.
Wagenknechts Zweckoptimismus ist nachvollziehbar. Schließlich wird die Bundestagswahl über ihre politische Zukunft und auch über die des BSW in seiner aktuellen Form entscheiden. In Interviews hat Wagenknecht bereits angedeutet, dass sie sich ohne ein Abgeordnetenmandat wahrscheinlich zurückziehen werde. Bei einigen Gästen im Publikum führt dies jedoch rasch zu der Vermutung, die Umfragen seien manipuliert oder gar gefälscht.
Generalabrechnung mit der Ampel-Politik
Was dann von Wagenknecht folgt, ist eine Generalabrechnung mit der Ampel. Vor allem SPD und Grüne seien dafür verantwortlich, dass sich die AfD-Werte verdoppelt haben. Sie warnt jedoch auch vor Friedrich Merz, da der CDU-Kanzlerkandidat der Ukraine Marschflugkörper liefern wolle. Neben dem Ukraine-Krieg geht es ihr auch um günstige Energie, Klimapolitik, Rente, Bildung und Meinungsfreiheit.
Wagenknechts Rede wirkt wie eine Wiederholung der an diesem Abend vorangegangenen Wortbeiträge, was jedoch kaum verwundert. Schließlich wollte das BSW gerade mit diesen Themen Wahlkampf machen. Über ein anderes Thema spricht sie an diesem Abend jedoch nicht: Migration. Dass fast der gesamte Wahlkampf davon bestimmt war, stärkt vor allem die AfD, so eine Einschätzung aus Wagenknechts Umfeld. Gegen diese Thematik und die eigenen Agenda anzukommen, sei nicht gelungen, heißt es selbstkritisch.
Eine knappe dreiviertel Stunde spricht Wagenknecht ohne Notizen auf der Bühne. Es folgt minutenlanger Applaus, wie sie es von all ihren Wahlkampfveranstaltungen gewohnt ist. Danach noch schnell ein paar Selfies. Dann muss der Wahlkampftross weiter.
Ihre Abschlusskundgebung wird Wagenknecht am Brandenburger Tor in Berlin abhalten. Wieder draußen und somit wahrscheinlich auch wieder mit viel Laufpublikum. Ob sie am Ende genügend Menschen erreicht hat, um den Einzug in den Bundestag zu schaffen, wird das Ergebnis am Wahlabend zeigen.