„Die Abschlussdiskussion“: Politiker debattieren über die Ukraine, Sicherheit und sogar das Klima
In der letzten Diskussion vor der Wahl trafen sich führende Politiker – ohne Scholz, Merz und Habeck. Sie erörterten auch Themen, die bislang kaum Beachtung fanden.
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© Fabrizio Bensch/dpa
Drei Tage vor der Wahl versammelten sich die SpitzenpolitikerInnen der im Bundestag vertretenen Parteien, um eine letzte Debatte zu führen. In der „Schlussrunde“ von ARD und ZDF sprachen CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, SPD-Generalsekretär Matthias Miersch, Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen, FDP-Chef Christian Lindner, AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel, Linkenchef Jan van Aken, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und BSW-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht unter anderem über Außenpolitik, das Gesundheitssystem und Klimaschutz. Olaf Scholz, Friedrich Merz und Robert Habeck waren nicht anwesend. Ein Überblick:
Baerbock verteidigt Außenpolitik der Ampel
Die Debatte begann mit außenpolitischen Themen. Die Frage, ob sich die deutsche Außenpolitik angesichts der jüngsten Aussagen aus den USA zur Sicherheitspolitik neu aufstellen müsse, verneinte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Vielmehr müsse Deutschland den Kurs fortführen, den die Ampelkoalition vor drei Jahren eingeschlagen habe. Baerbock hält es für notwendig, dass Europa den eigenen Frieden selbst sichert. „Das können wir“, sagte sie. Auch SPD-Generalsekretär Matthias Miersch verteidigte die Position der Bundesregierung. Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Regierung seien gut vorbereitet; die entscheidende Frage sei nun die Finanzierung der Verteidigung.
„Diese Regierung ist de facto isoliert“, widersprach CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Er sieht Deutschland unter der jetzigen Regierung schlecht vorbereitet. Es brauche eine neue Prioritätensetzung. Auch der CSU-Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt sagte: „Die Regierung ist gar nicht vorbereitet auf das, was da passiert.“
Weidel und Wagenknecht für Verhandlungen mit Russland
Die AfD steht laut ihrer Kanzlerkandidatin Alice Weidel hinter dem Vorstoß von US-Präsident Donald Trump, Gespräche zu einem Ende des Kriegs in der Ukraine mit Russland voranzutreiben. „Ich glaube, es war nie richtig, diesen Krieg in einer Schwarz-Weiß-Zeichnung zu sehen“, erklärte Weidel. Der Angriffskrieg sei völkerrechtswidrig, habe jedoch eine Vorgeschichte, die immer ausgeblendet worden sei. Sie halte Verhandlungen für richtig, um den Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Baerbock und Linnemann widersprachen entschieden und warfen der AfD-Kanzlerkandidatin vor, sich kein ehrliches Bild von der Lage zu machen.
Auch Wagenknecht äußerte, dass nun verhandelt werden müsse. Sie kritisierte die deutsche Regierung, die nur auf Waffenlieferungen und militärische Lösungen setze. Sie sprach sich gegen eine Erhöhung des Verteidigungsetats und gegen eine Aufhebung der Schuldenbremse zur „Aufrüstung“ Deutschlands aus.
Linkenchef Jan van Aken forderte, das Thema Sicherheit europäisch zu denken und nicht auf die NATO zu vertrauen. Er sagte, hätte es eine frühere europäische Sicherheitsstrategie gegeben, müsste man jetzt nicht feststellen, wie abhängig Europa von den USA sei. Die Sicherheit Deutschlands würde langfristig gestärkt, falls Donald Trump aus der NATO austreten würde und diese zerfiele. Er erklärte, dass die europäischen NATO-Staaten gemeinsam mehr Geld für das Militär ausgäben als Russland.
Baerbock stellte fest, dass es im Ukrainekrieg durchaus Verhandlungsversuche gegeben habe, die von Russlands Präsident Wladimir Putin jedoch nicht ernsthaft angenommen worden seien. Auf die Frage nach einer möglichen Beteiligung deutscher Friedenstruppen an der Sicherstellung eines Friedens in der Ukraine sagte Baerbock: „Wenn es eine Absicherung gibt, dann müssen natürlich auch die Europäer beteiligt sein.“ Sie wies darauf hin, dass sich Deutschland bereits an Blauhelmmissionen in anderen Ländern beteilige.
Die Spitzenpolitiker der Union wollten sich jedoch nicht auf eine Friedenssicherung für die Ukraine mit deutschen Soldaten festlegen, solange noch kein Frieden herrsche.
Miersch: „Wir sehen eine Ungleichbehandlung zwischen Privatversicherten und gesetzlich Versicherten“
Beim Thema Krankenversicherung zeigte sich ein klares Bild: FDP, Union und AfD sprachen sich gegen eine einheitliche Krankenversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland aus, während Grüne, SPD, Linke und BSW dafür plädierten. „Wir sehen eine totale Ungleichbehandlung zwischen Privatversicherten und gesetzlich Versicherten bei den Fachärzten“, sagte Miersch. Wagenknecht kritisierte, dass das Gesundheitssystem vor allem deshalb teuer sei, weil es kommerzialisiert und profitorientiert sei.
Zum Thema Pflege sprach Miersch von einem vorgeschlagenen Pflegedeckel von 1.000 Euro, der die Menschen entlasten soll, damit sie nicht mehr mehrere Tausend Euro im Monat für pflegebedürftige Angehörige zahlen müssen. Die SPD plant, dies durch eine Umschichtung von Zuschüssen zu finanzieren.
Auch van Aken forderte eine solidarische Finanzierung des Pflegesystems. „Die große Ungerechtigkeit, die wir heute haben, ist, dass nur ein kleiner Teil der Einkommen in Deutschland in das System einzahlt“, sagte er. Es müssten alle Einkommen herangezogen werden, wobei höhere Einkommen stärker belastet werden sollten. Baerbock schloss sich dem an und kritisierte das Zweiklassensystem im deutschen Gesundheitssystem, wo gesetzlich Versicherte in manchen Städten Schwierigkeiten hatten, Facharzttermine zu bekommen.
Weidel fordert für pflegende Angehörige einen Lohn von 2.000 bis 3.000 Euro im Monat, um die Pflege durch Angehörige zu fördern. Lindner kritisierte, dass alle seine Mitbewerber viel Geld verteilen wollten, jedoch nicht sagten, woher es kommen solle. Er plädierte für private Vorsorge.
Union für Einführung „aufwachsender Wehrpflicht“
Bei der Debatte um junge Menschen ging es insbesondere um die mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht. Dobrindt verteidigte die Idee der Union, eine sogenannte aufwachsende Wehrpflicht einzuführen. Man müsse alle mustern, die sich freiwillig melden, um wieder eine Reserve aufzubauen. Laut Grundgesetz sollen hierfür nur Männer gemustert werden. Auch Linnemann sprach sich für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr aus, das jedoch zuerst gesellschaftlich diskutiert und nicht parteipolitisch durchgedrückt werden sollte.
Weidel sprach sich für einen zweijährigen Wehrdienst für junge Menschen aus und warf der Union sowie der ehemaligen Regierung unter Angela Merkel vor, Deutschland nicht verteidigungsfähig gemacht zu haben. Eine bessere Ausbildung in der Bundeswehr und eine größere Identifikation der Bevölkerung mit der Bundeswehr seien notwendig.
Wagenknecht und van Aken sprachen sich gegen eine Wehrpflicht aus, plädierten jedoch für die Förderung von freiwilligem Engagement junger Menschen, die nicht verpflichtet werden sollten.
In der Bildungsdebatte zeigten sich die Politiker überraschend einig. Viele forderten mehr Kompetenzen für den Bund. Lindner betonte, die FDP wolle insbesondere sicherstellen, dass diejenigen, die geringere Chancen auf einen qualifizierten Schulabschluss haben, gefördert werden. Zudem benötige man mehr Vergleichbarkeit: „Alle Bundesländer sollten sich am bayerischen Abitur orientieren und nicht am Bremer,“ sagte er.
Baerbock forderte ebenfalls vergleichbare Chancen für Kinder in der Bildung und forderte ein Ende der Ausreden im Föderalismus. Miersch unterstützte die Idee eines neuen Paktes zwischen Bund, Ländern und Kommunen.
Linke will fürs Klima Superreiche besteuern
Zuletzt wurde über ein oft übersehenes Thema im Wahlkampf gesprochen: Klima. Van Aken plädierte für konsequenten Klimaschutz. „Das Klima nicht zu schützen, kostet uns viel mehr Geld“, erklärte er. Bisher seien die Klimamaßnahmen nicht sozial gedacht, sondern hätten Menschen mit geringerem Einkommen kaum geholfen. Klimaschutzmaßnahmen müssten sozial unterstützt werden, was mehr Zustimmung für solche Maßnahmen bringen könne. Er forderte, dass Superreiche über eine Vermögenssteuer an den Kosten der Klimakrise beteiligt werden sollten.
Die BSW-Vorsitzende sprach sich dagegen gegen feste Ziele aus. „Ich halte nichts davon, Klimaschutz durch Verteuerung des Lebens zu verfolgen, wenn viele Menschen keine Alternative haben,“ sagte Wagenknecht. Plakative Ziele sollten vermieden werden. Auch Union und FDP sprachen sich gegen strikte Klimaschutzvorgaben aus und kündigten an, das Heizungsgesetz wieder abschaffen zu wollen.
Weidel antwortete auf die Frage, warum die AfD die Klimakrise leugne, nicht und kritisierte stattdessen erneut die hohen Energiepreise.