Wagenknecht’s BSW: Wird es das Wahlergebnis beeinflussen? – „Skandal“

Verwechslungen und fehlende Stimmen Auslandsdeutscher: Das BSW sieht Chancen, doch noch über die Fünf-Prozent-Hürde zu springen – notfalls über den Klageweg.
Laut vorläufigem Ergebnis hat das Bündnis Sahra Wagenknecht 4,972 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl erhalten. Es fehlen also 0,028 Prozentpunkte, um im Bundestag vertreten zu sein. So nah war noch keine Partei zuvor an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Auch fast zwei Wochen nach der Wahl will man beim BSW das Ergebnis nicht glauben. Die junge Partei sucht verzweifelt nach den fehlenden Stimmen. In mehreren Wahlbezirken hat man inzwischen angefragt – aber ob das wirklich ausreicht?
„Statistisch sehr auffällig“: BSW-Stimmen bei Bundestagswahl verwechselt
Dem BSW fehlen 13.435 Stimmen. Einige davon könnten im Ergebnis des ähnlich benannten Bündnis Deutschland (BD) verborgen sein. Recherchen unserer Redaktion haben einen Stimmenwechsel in mehreren Wahllokalen nahegelegt. Bundesweit hat das BD 0,2 Prozent erreicht, doch lokal hat es auch deutlich über fünf Prozent abgeschnitten.
Ein Beispiel: In der Gemeinde Brecht in Rheinland-Pfalz erzielte die rechtskonservative Kleinpartei 8,3 Prozent, während das BSW dort 0 Prozent erhielt. Hinzu kommen zahlreiche Gemeinden und Wahlbezirke, in denen das BD im Vergleich zu seinem bundesweiten Ergebnis überraschend stark abgeschnitten hat. Möglich, aber äußerst ungewöhnlich. Wurden die Ergebnisse der beiden Parteien zufällig vertauscht? BSW-Europapolitiker Fabio De Masi bezeichnete die Anomalien zumindest als „statistisch sehr auffällig“.
Übertragungsfehler von BSW zu BD sollen bereits bei der Europawahl 2024 auffällig geworden sein. Berichten zufolge wurden anfangs etwa 4000 BSW-Stimmen dem BD zugeschrieben, wie der Spiegel berichtet. Wie viele es bei der Bundestagswahl 2025 gewesen sein könnten, ist unklar.
Generell sind kleinere Abweichungen nicht ungewöhnlich. Deshalb gibt es nach der Bundestagswahl immer nur ein vorläufiges Ergebnis. Wie die Bundeswahlleiterin erklärt, kann es bis zum amtlichen Endergebnis noch zu leichten Änderungen kommen.
In der vergangenen Woche hieß es von der Bundeswahlleiterin: „Aktuell finden die Prüfungen der Kreiswahlleitungen und die insgesamt 299 Sitzungen der Kreiswahlausschüsse statt.“ Seitdem wurden in einigen Wahlbezirken, wie im NRW-Kreis Soest, im Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen in Baden-Württemberg oder im niedersächsischen Delmenhorst, weitere Stimmen nachgezählt. Hier hatte die Wagenknecht-Partei zunächst weniger Stimmen erhalten als ihr zustanden.
Video: Wahlpanne in NRW: BSW-Stimmen falsch zugeordnet – Überprüfung in 64 Wahlkreisen
Mutmaßliche Verwechslungen werden laut BSW in allen Bundesländern berichtet. Wie umfangreich diese sind, ist unklar. Dass der Vorwurf nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt das Beispiel Nordrhein-Westfalen. Im bevölkerungsreichsten Bundesland sollen alle 64 Wahlkreise erneut geprüft werden, wobei „besonderes Augenmerk“ auf BSW-Stimmen gelegt werden soll, wie es aus Düsseldorf heißt.
Und wie sieht es in anderen Bundesländern aus? Die Landeswahlleitung Brandenburg berichtet auf Anfrage der Frankfurter Rundschau von Fehlern „in wenigen Wahlbezirken“, Schleswig-Holstein von „wenigen Einzelfällen“. Aber aus dem Norden heißt es auch: „Eine besondere Betroffenheit des BSW kann nicht festgestellt werden.“ In Hessen hingegen wurden „falsche Zuordnungen korrigiert, die in mehreren Fällen auch zwischen Bündnis Deutschland und Bündnis Sahra Wagenknecht aufgrund von Namensverwechslungen und benachbarten Listenplätzen“ stattgefunden haben, wie die Landeswahlleitung unserer Redaktion mitteilte.
Im Lahn-Dill-Kreis gab es auch Fehler zugunsten anderer kleiner Parteien. So gingen 57 BSW-Stimmen fälschlicherweise an die MLPD oder die Partei der Humanisten. Warum dies geschah, ist unklar. Allerdings sind kleinere oder neu gegründete Parteien, die weiter unten auf dem Wahlzettel stehen, tendenziell eher von Übertragungsfehlern betroffen. 2009 erhielt die Piratenpartei im amtlichen Endergebnis mehr Stimmen als im vorläufigen, 2013 betraf es die kurz zuvor gegründete AfD.
Keine Daten für BSW: „Ein Skandal, gegen den wir uns wehren“
Nach und nach wird das Ergebnis der Bundestagswahl angepasst. Eine umfassende Korrektur des Wahlergebnisses ist jedoch bislang nicht zu beobachten. Ob das BSW letztendlich die fehlenden 13.435 Stimmen finden wird, ist mehr als fraglich. Die Partei glaubt zumindest noch daran. Ein Datenteam hat in den letzten Tagen zahlreiche auffällige Wahllokale identifiziert.
Das ist jedoch nicht einfach, da bislang nicht alle Daten der rund 87.000 Wahllokale verfügbar sind. Mehrere Bundesländer stellen die Daten auf Wahllokalebene vor dem amtlichen Endergebnis nicht zur Verfügung, wie eine Abfrage unserer Redaktion bei allen Landeswahlleitern ergab.
Sachsen etwa veröffentlicht diese Daten nicht, hat aber für sich selbst auch keine Unregelmäßigkeiten bei BSW-Stimmen feststellen können. Diese können vorerst nicht überprüft werden. Auch Hamburg hat keine Fehler festgestellt. Im Saarland prüft man mögliche „Einzelfälle“, stellt jedoch im Voraus ebenso keine Daten zur Verfügung wie in Niedersachsen, Bayern oder Rheinland-Pfalz.
BSW-Promi De Masi: „Ein Skandal, gegen den wir uns wehren“
Für das BSW ist das nicht akzeptabel. „Ein Skandal, gegen den wir uns wehren“, sagt BSW-Politiker Fabio De Masi unserer Redaktion. „Es ist verfassungsrechtlich überhaupt nicht haltbar, dass uns die Daten nicht zur Verfügung gestellt werden, um eine ordentliche Wahlprüfung durchführen zu können.“ Teilweise müssen sich BSW-Vertreter die Daten selbst bei den Gemeinden zusammensuchen. Ein aufwändiges Verfahren, das einen lückenlosen Überblick erschwert.

Das BSW vermutet Übertragungsfehler im mittleren vierstelligen Bereich und zusätzliche Fehlerursachen bei den ungültigen Stimmen. „Die Wahrscheinlichkeit beim Zählen zu vertauschen ist sogar noch höher als bei der konzentrierten Eintragung in eine Tabelle“, sagt De Masi und rechnet vor: „Es würde zum Beispiel ausreichen, jede 600. Stimme des BSW mit dem Bündnis Deutschland zu verwechseln, und wir hätten weitere 4000 Stimmen.“
Die möglicherweise fehlenden Reststimmen könnten bei den Auslandsdeutschen liegen, von denen laut Sahra Wagenknecht „offenbar nur ein Bruchteil“ an der Wahl teilhaben konnte. Wie viele es tatsächlich waren, ist unklar. Stimmen von Auslandsdeutschen werden nach Informationen unserer Redaktion nicht gesondert erfasst.
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BSW hält sich Klage gegen Bundestagswahlergebnis offen: „Wir prüfen Rechtsmittel“
Die Rechnungen des BSW sind insgesamt noch sehr theoretisch. Ein einheitlicher Überblick fehlt auch, weil einige Bundesländer nicht kooperieren. Daher ist nun vor allem ein Datum von Interesse: der 14. März. An diesem Tag will der Bundeswahlausschuss das endgültige amtliche Ergebnis bekannt geben. Das BSW wird dann wahrscheinlich mehr Stimmen haben als zuvor angegeben. Das sei kein Skandal, wie der Wahlleiter Mecklenburg-Vorpommerns erklärt: „Es ist vollkommen normal und in jeder Wahl üblich, dass es zwischen dem vorläufigen und dem amtlichen Ergebnis zu Korrekturen kommt.“ Und weiter: „Ob das BSW hiervon besonders betroffen ist – in die eine oder andere Richtung – kann ich jetzt noch nicht sagen.“
Generell gilt: Je mehr Stimmen das BSW zusätzlich erhält, desto wahrscheinlicher wird eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. De Masi sagte: „Wir prüfen Rechtsmittel, um eine Nachprüfung zu bewirken, falls erforderlich.“ Ausgang offen.